Dez 212012
 
NE6464.

In Bezug auf die – in meinem vorhergehenden Blog aufgeworfenen – Fragen “Wie könnte ein Reverse Mentoring-Konzept auf SEK II-Stufe ausgestaltet sein?” und “Existiert ein Bedarf bei Lehrpersonen oder auch Schulleitern für eine derartige Weiterbildungsmöglichkeit?” kann Folgendes festgehalten werden:

Das Gedankengut des Reverse Mentoring-Konzepts stellt eine potentielle neue und informelle Lern- und Entwicklungsoption für Lehrpersonen dar und stösst im schulischen Kontext durchaus auf Interesse. Doch eine Implementierung will gut überlegt sein. Insbesondere weil das Reverse Mentoring und seine Durchführung nicht ganz genau definiert sind. Soll die Teilnahme an einem schulinternen Reverse Mentoring-Programm beispielsweise obligatorisch für alle Lehrpersonen sein? Werden fixe Termine und Themen zur Bearbeitung vorgegeben? Können die Tandems eigenständig gebildet werden oder wird top-down zugeteilt?

Nebst diesen konkreten Fragestellungen zur Ausgestaltung einer solchen informellen Kompetenzentwicklungsoption ist auch abzuklären, ob denn überhaupt ein reales Bedürfnis sowie Bedarf nach Reverse Mentoring im Schulkontext besteht. Genau dies versuchte ich durch Interviews mit Schulleitern wie auch Lehrpersonen der SEK II-Stufe in der Region Ostschweiz herauszufinden. Aufgrund der Tatsache, dass die mannigfachen Anforderungen an Schulen im Allgemeinen und insbesondere auch an die Schulleitung und die Lehrpersonen vermehrt zunehmen und es Lehrpersonen häufig an der Zeit fehlt, konkrete formelle Weiterbildungsangebote zu besuchen (Seufert, 2012, S. 36), habe ich im Rahmen der Interviews auf reges Interesse am Reverse Mentoring gehofft. Und tatsächlich, die Interviewpartner zeigten sich positiv auf das Thema gestimmt. Es kann festgehalten werden, dass das Reverse Mentoring – unter gewissen Vorbehalten – durchaus eine erfolgversprechende Möglichkeit bieten könnte, um die informelle Weiterbildung von Lehrpersonen um ein Element erweitern zu können. So haben die Interviewpartner das Gedankengut des Reverse Mentoring generell als positiv quittiert. Besonders die Möglichkeit zur Reflexion des eigenen Unterrichts, dem Gewinnen von neuen Erkenntnissen durch andere Personen und die Möglichkeit sich austauschen zu können ist positiv angekommen. Durch die Gespräche wurden jedoch auch Wünsche sichtbar, die gewisse Optimierungen oder auch Abweichungen vom klassischen Reverse Mentoring – für den konkreten Einsatz im Schulkontext – durchaus erfordern. So sind insbesondere folgende Punkte zu beachten:

  • Ein Reverse Mentoring-Programm wird vorwiegend dann als nützlich beurteilt, wenn genaue Zielvorgaben für die Durchführung bestehen. Von Seiten der Schulleiter wie auch aus Sicht der Lehrpersonen ist die Zielorientierung somit essentiell für eine erfolgversprechende und erwünschte Durchführung. Als übergeordnete Zielsetzung käme hierbei der gute Unterricht an und für sich in Frage, wobei zusätzlich auch noch spezifische Feinziele gefordert werden.
  • Zwischenmenschliche Begebenheiten dürfen nicht unbeachtet bleiben. Gerade an einer Schule, die in unterschiedliche Fachbereiche aufgegliedert ist, sollen die Tandems sorgfältig und durchdacht gebildet werden. Harmonisieren die Partner nicht, wird der Output eines Reverse Mentoring als sehr gering eingestuft.
  • Eine Durchführung soll erleichternd und nicht belastend für die Lehrpersonen wirken und als Hilfsmittel zur Bewältigung der steigenden Anforderungen eingesetzt werden. Insbesondere der Zeitbedarf ist genauestens abzuklären und einzuteilen.

Weiter zeichnet sich ab, dass ‘Reverse Mentoring’ als solches nicht den geeigneten Begriff für den Schulkontext darstellt. Er betont viel zu sehr eine einseitige Beziehungskonstellation, die so gar nicht intendiert und erwünscht ist. Vielmehr sollten der gemeinsame Austausch und das wechselseitige Profitieren von unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen vordergründig ersichtlich sein. Somit stellt sich mir die Frage, ob nicht eine treffendere Bezeichnung des Einsatzes der Reverse Mentoring-Grundidee im Schulkontext erforderlich ist?

Weiter ist eine Abgrenzung von bereits bestehenden Formaten wie zum Beispiel der kollegialen Beratung oder der Hospitation nötig. Welchen zusätzlichen Mehrwert bringt Reverse Mentoring (oder wie das Konzept künftig heissen soll) konkret?

Sicher ist, dass das Reverse Mentoring mit seinen Facetten generell gesagt ein spannendes Element zur Implementierung in den Schulkontext darstellt. Eine massgeschneiderte Lösung könnte durchaus Anklang bei den Schulen finden und ins Weiterbildungsprogramm aufgenommen werden.

In einem nächsten Schritt werde ich nun die Interviews mit den Schulleitern und Lehrpersonen systematisch auswerten. Dabei achte ich besonders auf geäusserte Bedürfnisse wie auch Hinweise zur Umsetzung. Was könnte ein tragfähiges Pilot-Konzept sein?

 Also: Fortsetzung folgt…

 

 Dazugehörige Quellen:

Seufert, S. (2012). Die digitale Revolution und die Evolution des Lehrens. Folio, 4, 36-37.

 

 

Nov 082012
 
NE6464.

Wie bereits angekündigt, habe ich mich auf die Suche nach “Good Practice”-Anwendungen von Reverse Mentoring begeben und diese etwas näher betrachtet. Dabei stand die Frage, welche Erfahrungswerte zum Reverse Mentoring bereits existieren, im Fokus. Meine Recherchen haben gezeigt, dass beispielsweise DELL, Nokia, die Deutsche Telekom, General Electric, die Lufthansa, Time Warner, die Wharton School oder auch die California State University San Bernardino bereits zu den Anwendern oder zumindest Kennern und ‘Erwähnern’ von Reverse Mentoring gehören. Eine besonders vertiefte Auseinandersetzung mit Reverse Mentoring hat an der California State University San Bernardino im Rahmen eines Projekts zum Thema Technology Training stattgefunden.

Nachfolgend die Fakten zu diesem Projekt:

Ausgangslage Diejenigen Generationen, die in eine fortschrittlich technologisierte Welt hineingeboren werden, sind mit digitalen Technologien vertraut und können diese einfach adaptieren. Die meisten der Schulen sind heutzutage zudem mit dem Internet vernetzt. Doch viele der Lehrpersonen oder auch Vorgesetzten fühlen sich nicht kompetent genug, Technologien in ihrem Unterricht / in ihrem Berufsalltag einzusetzen. Dies ist der Grund, weshalb das Technologie Training an Bedeutung gewinnt und an der California State University San Bernardino untersucht wurde. Im Projekt fungierten Studierende des Master-Studiengangs des Instructional Technology (IT) Programmes als Mentoren von Professoren ihrer Universität.

Das Service Learning und das Reverse Mentoring werden von Amy S. C. Leh, der Initiantin dieses Projekts, als die Highlights des ganzen Projekts bezeichnet. Dies unter anderem, weil sich das Training mit Reverse Mentoring als sehr flexibel und für Mentoren wie auch Mentees als wertvoll erwiesen hat. Besonders auf Seiten der Mentoren wird betont, dass die mitwirkenden Studierenden durch das Reverse Mentoring an Selbstvertrauen und Erfahrungsschatz dazu gewinnen konnten und sie Stolz waren, ihren Professoren zur Seite stehen zu können. Nicht zu vergessen: der ausgewiesene und auch primär intendierte Fortschritt im Bereich Technologien, den die Professoren durch die Teilnahme am Reverse Mentoring-Projekt verzeichneten. Trotz der positiven Schlussbilanz, die am Ende des Projekts mit Hinblick auf das Reverse Mentoring-Konzept gezogen wurde, sind auch Verbesserungspotenziale bei der Durchführung aufgetaucht. So haben sich die budgetierten Zeitfenster als zu knapp herausgestellt. Nur schon die Kontaktaufnahme zwischen Studierenden und Dozierenden hat ihre Zeit beansprucht und es hätte effektiv auch mehr als ein Semester benötigt, damit die Mentor-Mentee-Beziehung so richtig zu florieren begonnen hätte. Ferner zeigte sich das Commitment beider Parteien als elementarer Bestandteil für die optimale Umsetzung des Konzepts.

Ähnliche, aber auch zusätzliche Erfahrungen hat die Deutsche Telekom bei der Anwendung von Reverse Mentoring gesammelt:

Ausgangslage Digital Natives sollen das Top-Management der Deutschen Telekom mit dem Web 2.0 vertraut machen. Vordergründiges Ziel dabei ist der Wissenstransfer zwischen den unterschiedlichen Generationen. Dafür werden junge, webbegeisterte und sendebewusste Mentoren eingesetzt, die ihre Erfahrungen an interessierte Manager weitergeben.

Bei der Deutschen Telekom werden die Mentoren-Mentee-Teams als Tandems bezeichnet. Ständig sind zwischen 20 und 30 dieser Tandems aktiv. Dabei werden Themen wie Facebook, Twitter, Wikis und Blogs aber auch die Thematik Enterprise 2.0 behandelt. Die Deutsche Telekom handhabt das Konzept so, dass sie einen Pool führt, bei welchem sich interessierte Mitarbeiter registrieren können. Die Häufigkeit und Regelmässigkeit der Treffen sowie die Themen-Schwerpunkte können von den intergenerationalen Tandems selbst festgelegt werden. Als Orientierung dafür wird ihnen ein Leitfaden zur Verfügung gestellt. Bei der Deutschen Telekom hat das Reverse Mentoring Projektcharakter. Als Hindernisse werden die Hierarchiestufen betrachtet, welche sich unter Umständen als Kommunikationsbarrieren herausstellen können.

Aus diesen beiden exemplarischen Beispielen von zwei unterschiedlichen Organisationen können bereits erste Merkpunkte für die mögliche Anwendung des Reverse Mentoring, etwa im Schulkontext, gewonnen werden.

Erfahrungswerte der California State University San Bernardino und der Deutschen Telekom mit Reverse Mentoring

- Das Commitment von Mentoren wie auch Mentees ist elementar für das Gelingen einer erfolgreichen Reverse Mentoring-Durchführung

- Der Zeit- und ‘Kennenlern’-Bedarf darf nicht unterschätzt werden, zwischenmenschliche Beziehungen sollen sorgfältig aufgebaut werden können

- Es bietet sich an, die Themenschwerpunkte individuell bestimmen zu lassen, um die persönlichen Bedürfnisse möglichst treffend bedienen zu können

- Die Teilnahme an einem Reverse Mentoring-Programm generiert Mehrwerte für Mentoren wie auch Mentees; das wechselseitige Profitieren kann als Pluspunkt des Konzepts angesehen werden

Diese gewonnenen Erkenntnisse zum ‘Reverse Mentoring in Action’ zeigen das Potenzial auf, welches dieses Konzept in sich birgt. Nebst neuen Kontakten und dem Austausch zwischen jüngeren und älteren Generationen können bei beiden Seiten Kompetenzen durch das Reverse Mentoring entwickelt sowie weiterentwickelt werden. Wie könnte ein solches Konzept zum Beispiel auf SEK II-Stufe ausgestaltet sein? Existiert ein Bedarf bei Lehrpersonen oder auch Schulleitern für eine derartige Weiterbildungsmöglichkeit? Dies sind Fragen, denen ich nachgehen werde.

 

Dazugehörige Quellen:

Deutsche Telekom AG. (2012). Reiseführer durch Web 2.0-Welt. Abgerufen von http://www.telekom.com/karriere/warum-telekom/23316

Leh, A. S. C. (2005). Lessons learned from service learning and reverse mentoring in faculty development: A case study in technology training. Journal of Technology and Teachers Education, 13(1), 25-41.

Vogel, M. (2012). Reverse Mentoring: Alt lernt von Jung. Abgerufen von http://arbeitgeber.monster.ch/hr/personal-tipps/personalmanagement/personalfuhrung-entwicklung/reverse-mentoring-training-coaching-weiterbildung-099706.aspx

Okt 182012
 
NE6464.

Ein mögliches Konzept, die Kompetenzentwicklung in einem Unternehmen oder im schulischen Kontext effizient und effektiv direkt am Arbeitsplatz (also eher informell) zu unterstützen, stellt das Reverse Mentoring dar. So taucht der Begriff Reverse Mentoring in jüngster Zeit immer häufiger im Zusammenhang mit intergenerationalem Lernen auf – aber was steckt eigentlich hinter diesem Ansatz? Handelt es sich dabei nur um eine Modeerscheinung oder könnte sich das Reverse Mentoring zunehmend als ein fester Bestandteil in einer sich verändernden Lern- und Führungskultur (beispielsweise auch an Schulen) etablieren?

„Age is no longer necessarily correlated with experience“ (Marcinkus Murphy, 2012, p. 568)

Die zugrunde liegende Annahme, dass das steigende Alter einer Person nicht direkt und in sämtlichen Bereichen mit zunehmender Erfahrung korreliert, ist richtungsweisend für den Ansatz des Reverse Mentoring. Hierarchien werden bei diesem Ansatz aufgebrochen und Kompetenzen neu bottom-up vermittelt. Reverse Mentoring wird somit auch salopp als „Umkehrung des traditionellen Mentorings“ bezeichnet. Als erste Begriffseingrenzung und Verständnisgrundlage mag dies genügen. Betrachtet man das Konzept jedoch präziser, werden Aspekte bewusst, welche weit über die blosse Umkehrung der klassischen Mentoring-Struktur hinausreichen.

So wird bereits der Anwendungsbereich, für welchen sich die beiden Mentoring-Arten eignen, anders umschrieben. Im traditionellen Mentoring steht die langfristige Betreuung eines Schützlings im Vordergrund. Der Mentee soll beispielsweise in die Unternehmenskultur eingeführt, und durch den Mentor in seiner persönlichen Entwicklung betreut werden. Im Gegensatz dazu fokussiert das Konzept Reverse Mentoring nicht nur die Entwicklung von Führungskompetenzen und das individuelle Weiterkommen des Mentees, sondern gleichzeitig auch diejenigen des Mentors. Reverse Mentoring betont somit wechselseitige Kompetenzgewinne statt nur die einseitige top-down-Weitergabe von Kompetenzen.

Die Möglichkeiten für den Einsatz von Reverse Mentoring sind zahlreich. Dabei lassen sich einige Kerngebiete ausmachen. So wird Reverse Mentoring in der Literatur hauptsächlich mit der Vermittlung von IT-Know-How oder dem allgemeinen Erfahrungsaustausch in Verbindung gebracht. Bekannte und etablierte Unternehmen wie GE oder die Deutsche Telekom sind bekennende Anwender des Konzepts. Vielfach wird diese Massnahme aber nicht publik ausgewiesen, sei es aus Geheimhaltungsgründen, mangelnder Kommunikation oder höchst wahrscheinlich auch dem oft „unbewussten Einsatz“.

Während in der betrieblichen Bildung jedoch einige Texte, Erfahrungsberichte und auch Studien zum Thema Reverse Mentoring vorhanden sind, ist der Einsatz von Reverse Mentoring im schulischen Bereich bisher ein fast gänzlich unbeschriebenes Blatt. Die steigenden Anforderungen an Lehrpersonen der Sek II, Medienkompetenzen zu vermitteln und selbst auch à jour mit dem Einsatz digitaler Technologien im Unterricht zu bleiben, sowie der Umstand, dass die jüngeren Generationen intuitiv und selbstverständlich mit neuen Medien umgehen können, zeigen daher ein mögliches spannendes und bisher annähernd unbeachtetes Feld für den Einsatz von Reverse Mentoring auf. Es stellt sich die Frage, ob Lehrpersonen denn überhaupt bereit wären, ein Reverse Mentoring mit zum Beispiel Pädagogik-Studierenden einzugehen. Oder würde dies zu sehr dem Rollenverständnis oder den Weiterbildungsvorlieben von Lehrpersonen widersprechen?

Persönlich interessieren mich diese Fragen sehr – dieses „Voneinander lernen“ sehe ich als Chance zur gegenseitigen Weiterentwicklung. In einem nächsten Schritt werde ich daher zunächst die „Good Practice“-Erfahrungen aus konkreten Anwendungsbeispielen genauer analysieren. Damit möchte ich herausfinden, was aus bisher gemachten Erfahrungen gelernt werden kann und wie sich diese Erkenntnisse beispielsweise auf den schulischen Kontext übertragen lassen.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit dem Konzept Reverse Mentoring gemacht oder sind gewisse Aspekte zu diesem Themenbereich besonders interessant für Sie? Falls ja, freue ich mich sehr über Ihre Kommentare!

 

Quelle des Zitats:

Marcinkus Murphy, W. (2012). Reverse mentoring at work: Fostering cross-generational learning and developing millennial leaders. Human Resource Management, 51(4), 549-574.

 

2 weiterführende Artikel über den Reverse Mentoring-Einsatz in der Unternehmenswelt:

Carter, T. (2004). Recipe for growth: Executives learn from employees lower down on the food chain. Retrieved from http://www.abajournal.com/magazine/article/recipe_for_growth/print/

Ludowig, K. (2009). Nachhilfe vom Mitarbeiter für den Geschäftsführer. Abgerufen von http://www.handelsblatt.com/karriere/nachrichten/mentorenprogramme-nachhilfe-vom-mitarbeiter-fuer-den-geschaeftsfuehrer-seite-all/3324658-all.html