Marketing wird häufig mit Werbung und Manipulation assoziiert und das passt für viele nicht mit Bildung zusammen. Bildung ist ja schliesslich kein Produkt wie eine Waschmaschine oder ein Auto, sondern „an und für sich wertvoll“. Folglich ist „Bildungsmarketing“ überflüssig oder sogar verwerflich.
Diese Sichtweise war in Bildungsorganisationen und bei Learning Professionals lange verbreitet. Mittlerweile ist eine andere Sichtweise etabliert: Marketing beinhaltet die Ausrichtung von Aktivitäten und Prozessen auf die Wünsche und Bedürfnisse der jeweiligen Anspruchs- und Kundengruppen. Und dies ist auch für Bildungsanbieter wichtig, sollen doch die eigenen Dienstleistungen möglichst gut auf die Anforderungen der Kundengruppen ausgerichtet sein – beispielsweise im Hinblick auf die Inhalte, die Nutzungsformen, die Taktung oder den Preis.
Was aber beinhaltet Bildungsmarketing genau? Im Folgenden werde ich drei Perspektiven auf (Bildungs-)Marketing kurz umreissen und deren Relevanz für Bildungsmarketing bzw. Learning-Professionals einschätzen.
1) Der Marketing-Prozess
Eine bekannte Sichtweise auf (Bildungs-)Marketing stellt den Marketing-Prozess – angefangen von der Marktforschung bzw. Marktanalyse bis hin zum Controlling der Marketing-Aktivitäten in den Mittelpunkt (vgl. Böttcher 2010). Zentrale Arbeitsfelder sind aus dieser Perspektive die Marktanalyse (z.B. das Ermitteln von Weiterbildungsverhalten und von Erwartungen bestimmter Zielgruppen), der Abgleich mit den eigenen Organisationszielen, die langfristige Marketingplanung (z.B. die Segmentierung von relevanten Kundengruppen oder die Ausrichtung auf bestimmte Produktgruppen), die operative Gestaltung im Hinblick auf die Elemente des Marketing-Mix und schliesslich die Erfolgsbestimmung zu den Marketing-Aktivitäten (z.B. über Plan-Ist-Vergleiche oder ein Instrumente-Audit).
Abb. 1: Der Marketing-Prozess (nach Böttcher et al. 2010, S. 50)
Für Bildungsverantwortliche ist dieser Ansatz gut anschlussfähig, wie beispielsweise Böttcher et al. zeigen. Er rückt auf der operativen Ebene die marktgerechte Gestaltung von Bildungsdienstleistungen über die Konfiguration von Personal (z.B. Qualifikationsprofile der eingesetzten Trainer), Prozess (z.B. Taktung von Angeboten), Leistung (z.B. Blended Learning Designs), Distribution (z.B. Durchführung dezental an Unternehmensstandorten), Ausstattung (z.B. in Kreativräumen) und Preis (z.B. Target Pricing) sowie die Gestaltung der Kommunikation (z.B. social media marketing) in den Vordergrund.
2) Die Marketing-Kernaufgaben
Eine andere Sicht auf Marketing entwickeln Tomczak et al. (2007). Ausgehend von dem Organisationsziel, ein gegebenes Marktpotenzial bestmöglich zu erschliessen und darüber den Unternehmenswert insgesamt zu steigern, stellen Sie vier Kernaufgaben für das Marketing heraus:
- bestehende Kundenpotenziale ausschöpfen (z.B. durch das Bemühen um Cross-Selling von Präsenz-Training einerseits und begleitetem online-Lernen andererseits);
- bestehende Leistungspotenziale ausschöpfen (z.B. durch das Bundling von Einzelseminaren zu einem Zertifikatslehrgang);
- neue Leistungspotenziale erschliessen (z.B. durch die Imitation von Marktführern bei der Umsetzung von Blended Learning Desings);
- neue Kundenpotenziale erschliessen (z.B. durch das Ansprechen weiterbildungsferner Zielgruppen über Lernspiele und gamifizierte Lerndesigns).
Abb. 2: Die Kernaufgaben im Marketing (nach Tomczak et al. 2007, S. 15)
Der von Tomczak et al. skizzierte aufgabenorientierte Ansatz ist aus meiner Sicht primär für Bildungsorganisationen relevant, die sich in einem offenen Markt bewegen. Für interne (Weiter-)Bildungsdienstleister in einem Unternehmen oder einer Organisation scheint er mir weniger passend. Diese haben ja in der Regel nicht den Auftrag, das eigene Marktpotenzial (weiter) auszuschöpfen; sondern sie sollen verfügbare Budgets im Sinne der Unternehmensentwicklung bestmöglich einsetzen und die Umsetzung von Unternehmensstrategien durch Kompetenzentwicklung unterstützen.
3) Der Kunden- bzw. Kaufprozess
In einem ausführlichen Beitrag für die NZZ kommentieren Rutschmann / Belz die aktuellen Diskussionen im Marketing und sie skizzieren einen Ansatz für Marketing, der sich am Kunden- bzw. am Kaufprozess orientiert. Sie zeigen, dass die Vorstellung einer linearen Bewegung des Kunden von „Aufmerksamkeit“ zu „Interesse“ zu „Wunsch“ zu „Kaufaktion“ zugunsten eines genaueren Blicks auf den Kundenprozess bzw. die Kundenreise verworfen wurde. Marketing-Verantwortliche müssen die Punkte, an denen sich Kunden und Anbieter begegnen („Touchpoints“) genauer erfassen und verstehen, wo und wie Handlungen der Kunden angestossen, beschleunigt oder in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Sie müssen darauf abzielen, einen Handlungsfluss zu erzeugen, der den Kunden – Etappe für Etappe – zum Kauf führt. Um die Schlüsselstellen zu identifizieren, an denen die Handlungs- bzw. Kaufbereitschaft der Kunden gezielt aktiviert werden kann, müssen sie das „Liking“-System der Kunden (artikulierbare Präferenzen und nachträglich gelieferte Handlungsbegründungen) von deren „Wanting“-System (Handlungsimpulse) unterscheiden.
Abb. 3: Crossmedia-Einsatz im Kaufprozess (Quelle: Rutschmann / Belz 2011, S. 219)
Für das Marketing von Konsumgütern mag dieser Ansatz passend sein. Ein Beispiel für die Umsetzung wäre die Einladung zum Apéro ins Autohaus, die Möglichkeit eines von Verkäufern unbegleiteten Erkundens des neuesten Modells, das Angebot einer (ggf. unbegleiteten) Probefahrt und erst dann das Verkaufsgespräch. Für mich ist aber fraglich, wie relevant das von Rutschmann / Belz herausgestellte „Wanting“-System bei der Entscheidung für Bildungsdienstleistungen ist. Die Teilnahme etwa an betrieblicher Weiterbildung ist ja in vielen Fällen nicht die (alleinige) Entscheidung der Teilnehmenden, sondern erfolgt häufig in Abstimmung mit Vorgesetzten oder ist sogar verpflichtend. Bei der externen Weiterbildung mit Aussicht auf den Erwerb von Abschlüssen wie z.B. einem Weiterbildungsdiplom oder einem Master of Advanced Studies (MAS) könnte dies dagegen schon eher der Fall sein.
Aus meiner Sicht ist, mit Blick auf betriebsinterne Weiterbildung, eine am Marketing-Prozess orientierte Perspektive am ehesten relevant und kompatibel mit den konkreten Aufgaben der meisten Learning Professionals. Wenig überraschend also, dass unser eigenes Seminarangebot zum Thema Bildungsmarketing dann auch an diesem Ansatz ausgerichtet ist. Die nächste Durchführung findet übrigens am 17. und 18. März in St.Gallen statt.
Referenzen:
Böttcher, W., Hogrebe, N., & Neuhaus, J. M. (2010). Bildungsmarketing. Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Weinheim & Basel: Beltz.
Tomczak, T., Reinecke, S., & Mühmeier, S. (2007). Der aufgabenorientierte Ansatz. Ein Beitrag der Marketingtheorie zu einer Weiterentwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes. Institut für Marketing und Handel, Universität St.Gallen.
Rutschmann, M. / Belz, C. (2011): Crossmedia Optimierung – Leitmedium und Kundenprozesse. In: Innovationen im Kundendialog, hrsg. von C. Belz. Wiesbaden: Gabler / Springer.
Rutschmann, M. / Belz, C. (2015): Wie man Kunden zum Kauf führt. Neue Züricher Zeitung, 18.11.2015.