Fortsetzung des Rückblicks auf die ATD Konferenz – Link zum ersten Teil des Rückblicks
In diesem zweiten Teil des Rückblicks geht es um Konferenzbeiträge zum Themenbereich Führungskräfteentwicklung.
Kompetenzmodelle für Führungskräfte
Mit Blick auf unseren gerade anlaufenden Innovationskreis „Führungskräfteentwicklung mit Zukunft“ waren natürlich auch Beiträge im Themenstrang „Leadership“ für mich / uns interessant. Hier fiel mir zunächst auf, dass in den verschiedenen Beiträgen in der Regel Modelle für Führung und Führungskompetenzen im Vordergrund standen. Also inhaltliche Aspekte: Wie sollen Führungskräfte agieren, was sollen sie können? Die Frage, wie diese Kompetenzen nachhaltig entwickelt werden können, war dagegen deutlich weniger oft Thema.
Typisch dafür war der Beitrag von J.P. Stewart und seinem Sohn D.J. Stewart (Stewart Leadership). Der sehr selbstbewusst auftretende Firmenpatriarch J.P. Stewart stellte mit Unterstützung seines Sohns das eigene Führungsmodell vor. Dieses beinhaltet vier Bereiche:
- ‚Create purpose‘ (Sinn vermitteln und Ziele definieren)
- ‚Deliver excellence‘ (Geschäftsergebnisse realisieren)
- ‚Develop self & others‘ (Teamentwicklung und persönliche Entwicklung)
- ‚Lead change‘ (Veränderung führen, Innovation realisieren)
Die den einzelnen Kompetenzbereichen zugeordneten Kompetenzen sind in den vier Quadranten der Grafik aufgeführt:
Gemäss den Erfahrungen der Stewarts sind bei Führungskräften in der Regel die Kompetenzen in den Quadranten „Deliver Excellence“ und „Create Purpose“ am weitesten entwickelt. Dies ist auch nicht verwunderlich, weil Beförderungen in der Regel am Leistungsnachweis im Bereich „Business Results“ festgemacht werden. Die Kompetenzen im Bereich „People Results“ sind dagegen in der Regel deutlich weniger gut entwickelt. Die Stewarts betonen, das für nachhaltigen Führungserfolg gut entwickelte Kompetenzen in allen vier Quadranten erforderlich sind.
Erfahrungslernen im „social sabbatical“ für Führungskräfte
Interessant fand ich den Beitrag eines Konsortiums (SAP, Ken Blanchard Companies, Pyxeria Global), in dem ein ‚service learning‘-Programm („Global Pro Bono“) für Führungskräfte vorgestellt wurde. Dieses Programm versteht sich als „leadership bootcamp“, bei dem u. a. folgende Kompetenzen entwickelt werden:
- Problemlösen,
- Veränderungsmanagement,
- Sensitivität für verschiedene Kulturen,
- Netzwerken und Beziehungsaufbau,
- Teamaufbau und Kommunikation (mehr dazu hier).
Konkretisiert wurde dieses Programm anhand der Umsetzung bei SAP (eines von derzeit 27 teilnehmenden Unternehmen): „SAP Social Sabbatical“. Rainer Stern (Global Vice President, Sales Acceleration and Leadership Progams, SAP) berichtete von seinen für ihn beeindruckenden Erfahrungen bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Kolumbien im Herbst 2014, bei dem er und 11 weitere Teammitglieder ein lokales non-profit KMU („Seeds of confidence“) bei der Weiterentwicklung ihres Geschäfts mit Gemüse aus biologischem Landwirtschaft unterstützten (z.B. durch die Identifikation von neuen Absatzmärkten in der Region).
Seine drei zentralen Lernerfahrungen formuliert Stern wie folgt:
- Mit dem richtigen Team ist alles möglich.
- Richtig hinhören ist der erste Schritt zum Erfolg.
- Es braucht einen sehr klar formulierten Auftrag. (Mehr dazu hier).
Das Entwicklungsprogramm wird professionell begleitet. Für die Coaches der teilnehmenden Führungskräfte stellen sich nicht nur Fragen nach orientierenden Leitlinien, die den Führungskräften für die Bewältigung der neuen Situationen mit auf den Weg geben werden können. Hier stehen folgende Maximen im Vordergrund:
- show up, be present;
- pay attention to what has heart & meaning;
- tell the truth without blame or judgment;
- be open to outcomes, not attached to them – mehr dazu hier).
Es stellen sich auch Fragen zur Gestaltung des begleitenden Coachings. Beispielsweise, wann Coaching und Begleitung für die teilnehmenden Führungskräfte besonders wichtig und hilfreich ist: vor der Mission, während der Mission, nach der Mission? Madeleine Blanchard zufolge haben sich eine Coaching-Session vor der Mission und zwei Sessions nach der Mission als sinnvoll und praktikabel erwiesen. Auf diese Weise kann die Reflexion der (Lern-)Erfahrungen und deren Transformation in persönliche Ziele und Leitlinien für künftiges Führungshandeln gut unterstützt werden.
Gestaltung von Führungskräfteentwicklung
In einer – trotz ungünstiger Räumlichkeiten – sehr interaktiv gestalteten Session von Elaine Biech (ebb associates) ging es um Erfolgsfaktoren für Führungskräfteentwicklung („Four factors for flawless leadership development“). Zunächst verwies sie uns über Link in ihren Folien auf eine Reihe von im Web verfügbaren Studien (fast alle Teilnehmenden hatten entweder einen Laptop oder ein Tablet dabei). Im Rahmen eines „Wer drei Mal lügt“-Spiels sollten wir uns in Gruppen jeweils eine von ihr ausgewählte Studie aussuchen und nach Informationen suchen, um dann die folgenden von ihr vorgestellten Thesen als „richtig“ oder „falsch“ zu beurteilen. Startpunkt für uns waren die folgenden URLs:
- https://hbr.org/2012/12/why-do-we-wait-so-long-to-trai/
- http://zengerfolkman.com/wpcontent/uploads/2013/05/Double-Profits.pdf
- http://www.pwc.com/gx/en/ceo-survey/2015/index.jhtml
- http://marketing.bersin.com/hc-trends.html
- http://www.ccl.org/leadership/pdf/research/leadershipdevelopmentcompetencies.pdf
- http://www.ddiworld.com/resources/latest
Die Thesen, die wir dann beurteilen sollten, waren die folgenden:
- Das 70:20:10-Modell liefert die beste Grundlage für die Kombination von Lernformen in der Führungskräfteentwicklung.
Falsch
Eine DDI-Studie zeigt, dass Führungskräfte einen höheren Anteil an formalisiertem Training schätzen. - Mitarbeitende sollten bereits im Alter von ca. 35 Jahren in die Führungskräfteentwicklung einbezogen werden.
Richtig
Je zeitnäher zur ersten Führungserfahrung die formalisierte Ausbildung erfolgt, desto besser. Sehr häufig haben Mitarbeitende bereits mehrere Jahre Führungserfahrung – und zum Teil auch unvorteilhafte Routinen verfestigt – bevor sie in formale Entwicklungsprogramm aufgenommen werden. - Führungskräfteentwicklung amortisiert sich durch verbesserten Geschäftserfolg.
Teilweise richtig
Einer Studie von Zenger-Folkman zufolge geht eine Verbesserung der Produktivität von Führungskräften um 10% mit einer Erhöhung der Profitabilität von ca. 100% einher (wenn die Personalkosten 50% aller Betriebskosten ausmachen). Aber die Unterschiede der Ergebnisse zwischen sehr gut und sehr schlecht bewerteten Führungskräften sind dramatisch. - Strategisches Denken ist die wichtigste Kompetenz für Führungskräfte.
Umstritten
Verschiedene Studien stellen verschiedene Kompetenzen als zentral heraus: Anpassungsfähigkeit und kritisches Denken (PWC); Kulturelle Kompetenz (DDI); Lernfähigkeit und Selbstwahrnehmung (DDL); Selbstwahrnehmung (IBM). - Unternehmen sollten mehr in die Führungskräfteentwicklung investieren.
Teilweise richtig
Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass vor allem in die Entwicklung des unteren und mittleren Managements investiert werden sollte, nicht nur in die Entwicklung des Top-Managements. - Führungskräfteentwicklung sollte an einem Kompetenzmodell ausgerichtet sein.
Teilweise richtig
Kompetenzmodelle können ein sinnvoller Ausgangspunkt für die Entwicklung von Programmen sein. Aber je nachdem, wie diese Modelle formuliert sind können sie nach der nächsten Anpassung der Unternehmensstrategie schon wieder überholt sein.
Im Anschluss an diesen interaktiven Teil formulierte Biech dann vier Erfolgsfaktoren für Führungskräfteentwicklungsprogramme:
- Zunächst Unterstützung von der Unternehmensleitung für das Programm einholen
- Führungskräfte auf allen Ebenen entwickeln
- Führungskräfte dabei unterstützen
a) WAS sie lernen sollen (z.B. Szenariotechniken, Prozessgestaltung, etc.)
b) WIE sie lernen sollen (z.B. systemisches und kritisches Denken einüben; die eigenen Annahmen hinterfragen, etc.).
Abschliessend plädierte sie noch dafür, dass auch die Personalentwickler sich weiterentwickeln müssen. Sie müssen die Potenziale neuer Lernformen (z.B. informelles Lernen und Erfahrungslernen) erkennen und ihr eigenes Rollenverständnis anpassen (z.B. sich vom Experten zum Coach und zum Gestalter von Veränderungsprozessen entwickeln).
Führungskräfteentwicklung auf Distanz
In der letzten Session der Konferenz, die ich leider nur zum Teil verfolgen konnte, weil ich dann schon wieder zum Flughafen musste, habe ich einen Beitrag zum Thema „Facilitating virtual leaderhip workshops with confidence“ gehört. Zwei kanadische Referierende (James Chisholm, Experience Point; Jenn Labin, TERP Associates) berichteten zu ihren Erfahrungen mit Führungskräfte-Entwicklungsprogrammen, die nicht oder nicht vollständig in Ko-Präsenz sondern (auch) virtuell durchgeführt wurden.
Ausgangspunkt für ihren Beitrag war die Feststellung, dass Führung in zunehmendem Mass auf Distanz erfolgt, beispielsweise weil Mitarbeitende Heimarbeitstage einlegen können oder weil Mitarbeitende und Teams an verschiedenen Standorten lokalisiert sind. Führungskräfteentwicklung muss diese Realität aufnehmen. Zum Teil geschieht dies bereits, wenn etwa Fachvorträge im Rahmen von Webinaren stattfinden. Aber dabei geht es in der Regel um deklaratives Wissen oder Prozesswissen. Die Herausforderung besteht darin, auch erfahrungsbasiertes Lernen auf Distanz zu ermöglichen. In der ersten Fallstudie, von der sie berichteten, hatte ein Unternehmen, dass an verschiedenen Standorten im Norden, Südosten und Süden der USA beheimatet ist, explizit eine Führungskräfteentwicklung auf Distanz gewünscht, „weil das unserer täglichen Arbeitserfahrung entspricht“. Das Programm, das schliesslich umgesetzt wurde, umfasste 40 Teilnehmende in 8 Teams an 3 Standorten über 2 Tage. Dabei wurde darauf geachtet, dass nur ca. 15% der Zeit mit Impulsvorträgen gefüllt wurde. Ca. 75% der Zeit wurde in moderierten Gruppen an den drei Standorten gearbeitet und ca. 10% der Zeit wurden Ergebnisse im (virtuellen) Plenum vorgestellt und diskutiert (vgl. Abbildung).
Fazit
Es war meine erste Teilnahme an einer ATD Konferenz und es war eine (arbeits-)intensive Erfahrung. Das Angebot an Vorträgen und Workshops ist riesig und erfordert eine gute Vorbereitung bzw. Planung des eigenen Programms. Die meisten Vorträge und Workshops haben die Erwartungen, die ich hatte, erfüllt. Gelegentlich war dies aber auch nicht der Fall, beispielsweise wenn dann doch andere Schwerpunkte behandelt wurden, als ursprünglich angekündigt, oder wenn es zu sehr darum ging, die eigenen Angebote (Bücher, Dienstleistungen) etc. herauszustellen. Was ich dieses Jahr nicht intensiv gemacht habe, was aber bei einer nächsten Teilnahme sinnvoll wäre, ist die Vernetzung mit anderen Teilnehmenden (vielleicht auch schon im Vorfeld) und die gemeinsame Diskussion der Sessions.
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