Mentoring Programme erfreuen sich grosser Beliebtheit. In der Personalentwicklung und im L&D ist Mentoring in neuen Facetten en Vogue, wie z.B: Reverse Mentoring als generationenübergreifende Lernerfahrung aufzeigt. Aber wie ist es um die tatsächliche Wirkung bestellt?
http://www.aow-bonn.de/www/doku/artikel/Blickle_&_Spies_Ueberschaetzte_Mentoren_2014.pdf
In einer dreijährigen Feldstudie hat der Psychologe Prof. Gerhard Blicke mit seinem Forscherteam die Wirkungen von Mentoring (Probandengrösse 112 Mitarbeitende) untersucht. Seinem Ergebnis nach sind die Wirkungen insbesondere im Rahmen formeller Programme wesentlich geringer als gemeinhin angenommen. Im Klartext bedeutet dies, dass formelles Mentoring, das auf einer offiziellen Zusammenführung eines potenziellen Unterstützers und einer Nachwuchsperson beruht, keine nachhaltigen Karrierewirkungen auslöst. Mitarbeitende steigen weder besonders steil auf noch erzielen sie ein höheres Einkommen.
Auch informelles Mentoring – definiert als Mentoring, wenn eine jüngere und eine ältere berufserfahrende Person ohne gezielte Einwirkung von aussen zueinandergefunden haben – wurde untersucht. Auch hier kommen die Forscher zum Ergebnis, dass die Wirkungen im Hinblick auf Karriereerfolge überschätzt werden. Allerdings hilft informelles Mentoring eine eigene Karriereidentität zu entwickeln, es hilft den Nachwuchskräften herauszufinden, was sie wirklich wollen, den Platz im Berufsleben zu finden, der gute Chancen bietet, sich selbst zu verwirklichen. Informelles Mentoring unterstützt damit eigentlich kaum, dass man objektiv erfolgreicher ist, aber es schlägt sich positiv auf die berufliche Zufriedenheit aus.
Erfolgversprechender für die Karriereentwicklung sei es vielmehr, wie intensiv die Mitarbeitenden Networking betreiben können. Das Einkommen und die erreichte Position sind nach drei Jahren umso höher, je mehr Networking sie betreiben. Interessant scheint mir noch der Hinweis zu sein, dass es beim erfolgreichen Networking im Sinne von Karriereunterstützung darauf ankommt, möglichst viele Leute aus ganz unterschiedlichen Statusgruppen kennen zu lernen. Bei sozialen Medien hingegen bleibt man eher innerhalb der Statusgruppe.
Als praktische Implikationen ihrer Forschungserkenntnisse schlagen sie vor, dass Unternehmen davon wegkommen sollten, gezielt Mentoring-Systeme aufbauen zu wollen. Sie sollten vielmehr in die Entwicklung von „Networking-Kompetenzen“ investieren, um den Mitarbeitern beizubringen, wie sie nützliche berufliche Kontakte innerhalb und ausserhalb der Organisation knüpfen können. Im Zuge des Networking suchen sich die Nachwuchskräfte dann schon ihre Mentoren selbst aus. Diese Vorgehensweise sei insgesamt erfolgversprechender.
Für mich ist diese Studie sehr interessant aus zwei Blickwinkeln:
1) Wiederum die Frage, was heisst eigentlich Erfolg? In dieser Studie wurde die Karriereentwicklung als Erfolg zugrunde gelegt. Die berufliche Zufriedenheit aufgrund des informellen Mentorings hat anscheinend einen geringeren Stellenwert. Ich frage mich, inwieweit dies noch zeitgemäss ist – wird die berufliche Identitätsentwicklung nicht immer wichtiger, sollten wir diese nicht auch als sehr relevante Erfolgsgrösse berücksichtigen? Insbesondere die Generation Y scheint ein stärkeres Bestreben nach einer „sinnvollen Herausforderung“ zu haben.
2) Mehr Networking schulen, statt in den Aufbau in Mentoring Systemen zu investieren, finde ich ein durchaus interessanter Gedanke. Einerseits ist es natürlich genau dem derzeitigen Trend entgegen-läufig – weniger schulen, dafür mehr in den Aufbau lernförderlicher Rahmenbedingungen zu investieren, um die Selbstorganisation zu stärken. Andererseits müssen eben die Rahmenbedingungen, personalen und digitalen Supportstrukturen, aber auch von den Mitarbeitenden effektiv genutzt werden können. Von daher finde ich es schon durchaus interessant, sich zu überlegen, inwieweit „Networking-Kompetenzen“ der Mitarbeitenden im Sinne der Selbstorganisation nicht expliziert gestärkt werden sollten. Ob dies durch „traditionelle Schulungen“ passieren sollte, wie vorgeschlagen, bezweifle ich, vielmehr sind m.E. die Massnahmen zur Kompetenzentwicklung breiter zu fassen (im Sinne einer Prozess- und Entwicklungsunterstützung am Arbeitsplatz).
Die Studie hat mich jedenfalls dazu animiert, dem Thema „Networking“ – neu geistert ja der Begriff des „Networking 3.0“ auch in der Personalentwicklung herum – stärker nachzugehen.